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Zwischen Sagen und Meinen - wie wir Sprache verwenden und wie wir sie verstehen


Wo liegt der Unterschied zwischen sagen und meinen?
Gastbeitrag von Amelie Hauptstock

Zum Glück haben wir als Menschen im Laufe unserer Evolutionsgeschichte ein komplexes System der Verständigung entwickelt: die Sprache. Wir können alle gegenständlichen und auch darüber hinaus erfindbaren Bestandteile unserer Umwelt bezeichnen, wir geben ihnen Namen und damit Bedeutung. Doch was genau ist eigentlich Bedeutung? Gibt es eine große Bedeutung, die allen zugänglich ist oder haben wir alle eine eigene Bedeutung und nur zufällig können wir uns verständigen? Die eigentliche Frage ist nicht, gibt es eine allen gemeinsam verfügbare Bedeutung, sondern wie kann ich erkennen, ob mein Gegenüber dieselbe Vorstellung von der Bedeutung hat? Wie kann mein Gegenüber verstehen, was ich sage und mit welchen Mitteln wird mir das gezeigt?

Zwischen sagen und meinen

Zu verstehen, was gemeint ist, ist eine äußerst komplexe Angelegenheit. Ich persönlich bezweifle sogar, dass es überhaupt eine absolute Identität im sprachlichen Verständnis von zwei Kommunizierenden gibt. Und selbst wenn, so ist dies wieder nicht die notwendige Frage.

Für funktionierende Kommunikation ist es nicht relevant zu wissen, was der andere gemeint hat. Sondern was er oder sie tatsächlich alles gesagt hat. Neben der inhaltlichen Information sind es formale Kennzeichen, die Hinweise darauf geben, wie eine Äußerung verstanden wurde. Und ob sie überhaupt verstanden wurde.

Ein Gespräch wird immer von allen Teilnehmenden geformt. Es ist immer, in jedem kleinsten Abschnitt eines Gesprächs, so, dass eine Sprecherin oder ein Sprecher etwas sagt und darauf reagiert wird und dann auf die Reaktion wieder reagiert wird.

Wenn ich sage, "Er hat das so gesagt", dann meine ich "Ich habe das so interpretiert", und so verhalte ich mich auch und gebe wiederum dem vorherigen Sprecher aus meiner Interpretation heraus eine Reaktion auf seine Äußerung. Er reagiert dann wiederum auf mich und so wird Schritt für Schritt das Gespräch aufgebaut, werden wechselseitig Positionen angenommen oder abgelehnt.

Wenn meine Interpretation lautet "Er unterbricht mich so oft, um mich fertig zu machen", dann nehme ich diesen Gedanken mit ins Gespräch und werde vielleicht meine Stimme verändern, ich werde lauter sprechen, schneller sprechen, den anderen ebenfalls nicht ausreden lassen. Ein verbaler Kampf beginnt.

Zu verstehen, was gemeint ist, ist eine äußerst komplexe Angelegenheit.

Wie jemand meine Aussage versteht, lässt sich am Anfang nur nachträglich erkennen. Durch eine linguistische Analyse können authentische Gespräche Schritt für Schritt, Äußerung um Äußerung rekonstruiert werden, mit einer Herausarbeitung des sprachlichen Verhaltens der GesprächsteilnehmerInnen. Als Gesprächsanalytikerin erkenne ich die individuellen Reaktionen der GesprächsteilnehmerInnen und kann sie systematisch beschreiben. An welchen Stellen lässt sich anhand einer veränderten Tonlage erkennen, dass auf eine Äußerung wütend reagiert wird? Wo trägt der übertriebene Einsatz von Hörersignalen wie "ja" oder "hm" dazu bei, dass die Sprecherin sich unterbrochen weiß?

Sprache ist unser Werkzeug für ein funktionierendes soziales Leben, ohne sie läuft gar nichts. Wenn wir lernen, mehr auf unsere gegenseitige Sprache zu hören und aufmerksam beobachten anstatt egoistisch zu diskutieren, dann können wir unabhängig von Emotionen und Befindlichkeiten miteinander arbeiten und lernen, die Anderen wertzuschätzen.

Amelie Hauptstock